RESPEKT UND PERSPEKTIVE

Mit seiner filigranen Ausstattung und einer monumentalen Höhe von 37 Metern zählt die St.-Georgen-Kirche in Wismar zu den bedeutendsten Sakralbauten der norddeutschen Backsteingotik. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Kirche jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, zusätzliche Schäden verursachte ein Orkan im Januar 1990. Seitdem wurde der Bau nach Plänen von Angelis & Partner nach historischem Vorbild in nur 25 Jahren wieder aufgebaut. Als wichtiger Baustein des Weltkulturerbes Wismarer Altstadt fungiert er heute nicht mehr nur als Gotteshaus, sondern auch als Ort kultureller Veranstaltungen.

Wie umgehen mit unserem baulichen Erbe? Historische Bauten, ganz besonders aber Kirchen, stammen in den seltensten Fällen aus einem Guss. Gemeinhin wurde über Generationen an ihnen gearbeitet – sei es aus Mangel an finanziellen Ressourcen oder sei es aufgrund von Zerstörung. Hinzu kam die Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist. Über Jahrhunderte war somit ein Um-, An- und Weiterbauen gang und gäbe. Dieser pragmatische Umgang änderte sich erst mit dem Historismus im 19. Jahrhundert. Landauf, landab wurden Kirchen jetzt re-romanisiert oder re-gotisiert und erhielten somit ein Aussehen, das einem Ideal von romanischer oder gotischer Architektur entsprach. Seit Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich demgegenüber die Auffassung „Konservieren, nicht restaurieren“ durch. Erstmals knüpfte sich die Denkmalwürdigkeit eines Gebäudes damit direkt an die materielle Substanz eines Gebäudes und dessen Historizität. Der Erhalt sämtlicher Spuren einer wechselvollen Nutzungsgeschichte und die Rekonstruktion eines bestimmten Ideals stellen jedoch nur die beiden Extrempositionen dar, zwischen denen sich eine Fülle anderer Optionen eröffnet.

KOMBINATION UNTERSCHIEDLICHER STRATEGIEN

Das zeigt auch das Beispiel der St.-Georgen-Kirche in Wismar, wo verschiedene Strategien im Umgang mit dem Bestand zusammenkommen. Bei den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölben wurde dabei entschieden, sie in Ziegelsteinen möglichst originalgetreu wiederherzustellen. Hinsichtlich des Materials und der Mauertechnik orientierte man sich  so weit wie möglich an der Arbeit der gotischen Bauleute. Die Einheitlichkeit des hochmittelalterlichen Raumeindrucks wurde in diesem Fall also höher gewertet als die Bewahrung der Spuren von Zerstörung und Verwahrlosung. Und das mit gutem Grund: Es bedarf nicht überall einer Glasfuge zwischen Alt und Neu, nicht alle Spuren können und müssen sichtbar erhalten bleiben. Schließlich gibt es kein objektiv richtiges und kein objektiv falsches Vorgehen im Umgang mit Baudenkmälern. Gefragt sind vielmehr Respekt vor dem Bestand, Fingerspitzengefühl sowie Entscheidungsfreudigkeit und eine klare Haltung.

Sämtliche zeitgenössischen Hinzufügungen hat Angelis & Partner in einer neutralen Formensprache gehalten, um sie als moderne Ergänzungen kenntlich zu machen. Stahl und Glas prägen diese Einbauten – etwa die Windfänge, die von den Verglasungen über den Portalen überstrahlt werden und die dadurch nahezu immateriell erscheinen. Der gleichen Materialsprache folgen auch die zur Nutzungserweiterung der Kirche eingefügten Ein- und Aufbauten wie Treppen, Liftschacht und Aussichtsterrasse, die in Zeiten schrumpfender Gemeinden eine langfristig tragfähige Kombination von sakraler und kultureller Zweckbestimmung ermöglichen.

Eine dritte Strategie bei der Reaktivierung der vorhandenen Bausubstanz – die der subtilen Differenz – verfolgten die Architekten andererseits bei der Materialisierung des Fußbodens. Gegenüber dem historischen Bestand aus Handstrichziegeln kamen industriell gefertigte Backsteine zum Einsatz. Der optische Zusammenhalt des Raums bleibt durch die Materialwahl gewahrt, aber es ergibt sich eine ablesbare Differenz zwischen Alt und Neu. Irgendwann einmal wird auch das Teil der gesamten Baugeschichte dieser großartigen Kirche sein und man wird aus denkmalpflegerischer Sicht überlegen, wie man damit umgehen könnte.


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RESPEKT UND PERSPEKTIVE

Mit seiner filigranen Ausstattung und einer monumentalen Höhe von 37 Metern zählt die St.-Georgen-Kirche in Wismar zu den bedeutendsten Sakralbauten der norddeutschen schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Kirche jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, zusätzliche Schäden verursachte ein Orkan im Januar 1990. Seitdem wurde der Bau nach Plänen von Angelis & Partner nach historischem Vorbild in nur 25 Jahren wieder aufgebaut. Als wichtiger Baustein des Weltkulturerbes Wismarer Altstadt fungiert er heute nicht mehr nur als Gotteshaus, sondern auch als Ort kultureller Veranstaltungen.

Mit seiner filigranen Ausstattung und einer monumentalen Höhe von 37 Metern zählt die St.-Georgen-Kirche in Wismar zu den bedeutendsten Sakralbauten der norddeutschen Backsteingotik. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg war die Kirche jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, zusätzliche Schäden verursachte ein Orkan im Januar 1990. Seitdem wurde der Bau nach Plänen von Angelis & Partner nach historischem Vorbild in nur 25 Jahren wieder aufgebaut. Als wichtiger Baustein des Weltkulturerbes Wismarer Altstadt fungiert er heute nicht mehr nur als Gotteshaus, sondern auch als Ort kultureller Veranstaltungen.

Wie umgehen mit unserem baulichen Erbe? Historische Bauten, ganz besonders aber Kirchen, stammen in den seltensten Fällen aus einem Guss. Gemeinhin wurde über Generationen an ihnen gearbeitet – sei es aus Mangel an finanziellen Ressourcen oder sei es aufgrund von Zerstörung. Hinzu kam die Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist. Über Jahrhunderte war somit ein Um-, An- und Weiterbauen gang und gäbe. Dieser pragmatische Umgang änderte sich erst mit dem Historismus im 19. Jahrhundert. Landauf, landab wurden Kirchen jetzt re-romanisiert oder re-gotisiert und erhielten somit ein Aussehen, das einem Ideal von romanischer oder gotischer Architektur entsprach. Seit Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich demgegenüber die Auffassung „Konservieren, nicht restaurieren“ durch. Erstmals knüpfte sich die Denkmalwürdigkeit eines Gebäudes damit direkt an die materielle Substanz eines Gebäudes und dessen Historizität. Der Erhalt sämtlicher Spuren einer wechselvollen Nutzungsgeschichte und die Rekonstruktion eines bestimmten Ideals stellen jedoch nur die beiden Extrempositionen dar, zwischen denen sich eine Fülle anderer Optionen eröffnet.

KOMBINATION UNTERSCHIEDLICHER STRATEGIEN

Das zeigt auch das Beispiel der St.-Georgen-Kirche in Wismar, wo verschiedene Strategien im Umgang mit dem Bestand zusammenkommen. Bei den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölben wurde dabei entschieden, sie in Ziegelsteinen möglichst originalgetreu wiederherzustellen. Hinsichtlich des Materials und der Mauertechnik orientierte man sich  so weit wie möglich an der Arbeit der gotischen Bauleute. Die Einheitlichkeit des hochmittelalterlichen Raumeindrucks wurde in diesem Fall also höher gewertet als die Bewahrung der Spuren von Zerstörung und Verwahrlosung. Und das mit gutem Grund: Es bedarf nicht überall einer Glasfuge zwischen Alt und Neu, nicht alle Spuren können und müssen sichtbar erhalten bleiben. Schließlich gibt es kein objektiv richtiges und kein objektiv falsches Vorgehen im Umgang mit Baudenkmälern. Gefragt sind vielmehr Respekt vor dem Bestand, Fingerspitzengefühl sowie Entscheidungsfreudigkeit und eine klare Haltung.

Sämtliche zeitgenössischen Hinzufügungen hat Angelis & Partner in einer neutralen Formensprache gehalten, um sie als moderne Ergänzungen kenntlich zu machen. Stahl und Glas prägen diese Einbauten – etwa die Windfänge, die von den Verglasungen über den Portalen überstrahlt werden und die dadurch nahezu immateriell erscheinen. Der gleichen Materialsprache folgen auch die zur Nutzungserweiterung der Kirche eingefügten Ein- und Aufbauten wie Treppen, Liftschacht und Aussichtsterrasse, die in Zeiten schrumpfender Gemeinden eine langfristig tragfähige Kombination von sakraler und kultureller Zweckbestimmung ermöglichen.

Eine dritte Strategie bei der Reaktivierung der vorhandenen Bausubstanz – die der subtilen Differenz – verfolgten die Architekten andererseits bei der Materialisierung des Fußbodens. Gegenüber dem historischen Bestand aus Handstrichziegeln kamen industriell gefertigte Backsteine zum Einsatz. Der optische Zusammenhalt des Raums bleibt durch die Materialwahl gewahrt, aber es ergibt sich eine ablesbare Differenz zwischen Alt und Neu. Irgendwann einmal wird auch das Teil der gesamten Baugeschichte dieser großartigen Kirche sein und man wird aus denkmalpflegerischer Sicht überlegen, wie man damit umgehen könnte.